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Trigon Bunker Jam

Ein ausführlicher Bericht zu einem Live-Jam in Karlsruhe-Daxlanden, Hochbunker Rheinhafenstraße, am 02.11.2002

Wie kommt es, dass ein Mittdreißiger an einem verregneten Samstag abend, zur besten TV- oder Kinosendezeit, mit seinem 15-jährigen Neffen in einem Weltkriegsbunker sitzt und einer Live-Jamsession lauscht? Und das natürlich nicht Anfang der 70er Jahre, sondern im Jahre 2002, wo doch die Möglichkeiten zur Freizeitbeschäftigung so viel- und einfältig sind wie niemals zuvor?

Im Sommer 2002 herrschte helle Aufregung in der UMO-Red-Mailingliste. Beat, Bernd und Marcel schwelgten mächtig in "Herzberg-Erinnerungen": Es ging um alte und neue Kontakte, um die Präsentation des UMO 001-Vorabdrucks, und um neu entdeckte Bands. Schließlich sollte ich ja nicht nur informiert, sondern mir auch die Nase etwas länger gemacht werden. In dieser gigantischen Fülle von Mails und Informationen reichte mir Bernd den Kontakt mit einer "Herzberg"-Band weiter. Trigon wären richtig gut gewesen, müsste mein Geschmack sein, außerdem wäre es ja Krautrock... Und zudem würden Trigon demnächst in Karlsruhe spielen, bei mir "um die Ecke"... (bescheidene 260 km, wie ich feststellte!). Wäre ja sicher ein Besuch wert, und vielleicht wird es sogar ein Artikel für UMO.

Bernd als Mann der energischen Tat hatte gleichzeitig meine Mailadresse an Trigon weiter geleitet. Prompt kam es zum Kontakt: Es meldete sich "Gangleader" Rainer Lange, um über Krautrock und sonstige musikalische Gepflogenheiten zu diskutieren. Neben einem Sack voll neuer Krautrock- (Roman Bunka!) und sonstiger Plattentipps (Gordion Knot!!) bekam ich - aus heiterem Himmel - eines späten Abends einen Anruf von einem Manfred, genannt Fred, aus Stuttgart. Viele Grüße von Rainer solle er ausrichten, und bevor er es vergesse: Er könne eine Aufnahme der von mir verzweifelt gesuchten Jazzkrautrockplatte von Pinguin, "Der große rote Vogel", besorgen. Heja, und noch cool einen drauf packend, er habe schon ein paar (tausende, wie sich dann herausstellen sollte) Platten, und wenn ich noch Fragen zum Krautrock hätte, wäre der Zeitpunkt dafür jetzt gekommen, sie beantwortet zu bekommen. Das Telefongespräch dauerte dann läppische dreieinhalb Stunden.

Die badisch-schwäbische Plattensammlerclique machte mich nun richtig neugierig, und kurz darauf kamen die bestellten Trigon-CDs an. Schon das erste Hören überzeugte mich. Trigon spielen einen fein ausgeklügelten, instrumentalen und wohltuend wenig gemischten Sound mit E-Gitarre, Bass und Drums, der jedem Musiker seinen individuellen Freiraum lässt, ohne dass dieser mittels lächerlichen pro forma-Soli eingeräumt wird. So geht der Bass - wie so oft bei anderen Bands mit markanten E-Gitarreros - nicht unter, und auch die Drums kommen ständig und raffiniert zur Geltung, ohne deshalb gleich den Hörer brüllend zu belästigen.

Die Stilrichtung der Band als solches lässt sich nur schwer konkretisieren, wenn man auf so wenig aussagekräftige Verallgemeinerungen wie "psychedelischer Prog mit mal kleineren, mal größeren Anleihen aus Heavy und Jazz" verzichten möchte. So klingt die Band-eigene Bezeichnung "HeavyZenJazz" vielleicht etwas hochtrabend, hat jedoch seine Berechtigung. Etwas irreführend ist vielleicht das Wort "Jazz", für mich normalerweise ein Grund, eine Platte nicht zu kaufen. Auch nach mehrmaligem Meinungsaustausch mit Gitarrist Rainer Lange habe ich immer noch den Eindruck, dass Trigon keine Jazzanteile hat. Entweder werden so wenige Jazzspritzer einsetzt, dass sie kaum auffallen, oder mittels markanter Gitarre so verschleiert, dass sie einen progressiven Psychedeliker wie mich nicht stören. Als ich z.B. bei der Jamsession endlich mal einen Jazztitel gemäß "HeavyZenJazz" einforderte, fiel Drummer Daniel Beckmann fast vom Hocker. Und auch das Wort "Heavy" - vermutlich von eben genannten und ehemaligen Trash-Metal-Drummer eingebracht - ist durchaus zu relativieren: Mit der Gitarre wird schon häufiger gefrickelt, meist aber mit dezenten Drums und gemächlichem Bass unterlegt, so dass die für "Heavy" typische Geschwindigkeit wohltuend selten zur Geltung kommt. Diejenigen, die das Wort "Heavy" in der Musik abschreckt, können beruhigt werden: Trigon hat mit dem herkömmlichen "Heavy" wahrlich wenig zu tun.

Von den CDs war ich dann mehr als angenehm überrascht. Die richtige Musik für Pubs oder Musikschuppen mit Schwerpunkt Konversation, oder aber fürs Wohnzimmer, wenn einem nach Stille, aber nicht nach seichter Musik zumute ist. Vielleicht ist das gerade der Jazz-Effekt? Beim Hören der Jamsession-CD "Heizen" neige ich jedesmal dazu, bei dieser dynamisch-progressiven Musik dezent mit zu wippen. Und die gleichzeitige Lust auf ein kühles Helles... Eine Musik für den frühen Abend, weil für später zu energisch, ja zu "fräsend" (welch schönes Wort zur Beschreibung der Trigon-Musik in einem Karlsruher Stadtmagazin!).

Ein Besuch des im Irish Pub Karlsruhe anstehenden Trigon-Konzerts war mir schlicht zu weit. Die Band wartet jedoch mit einer weiteren originellen Besonderheit auf. Einmal im Monat, meist am ersten Mittwoch, öffnen sich die Pforten des Übungsraums in Karlsruhe-Daxlanden, und Trigon jammt für maximal 20 Besucher (die Platzangst sollte man dann jedoch zuhause lassen) bei freiem Eintritt. Einer dieser Jam-Termine wurde flexibel auf das oben genannte Wochenende verlegt, da ich zu jener Zeit in der Nähe von Karlsruhe weilte. Und so konnte ich mich überraschend kurzfristig von den Live-Qualitäten der Trigons in unheimlicher, fast schauriger Atmosphäre überzeugen.

Kurz vor dem Jam-Wochenende noch ein kurzer Mailkontakt mit Rainer Lange: Ich solle ein paar CDs mit so drei Songs mitbringen, die ich gerne höre, und die Trigon dann a capella cover-jammt und durch eigene Improviationen ausbaut. Wahnsinn, wo und wann gibts denn noch so etwas? "You doo right" von Can wird sofort akzeptiert, "Viva Arabica" von Gila dagegen mit Rücksicht auf den Drummer abgelehnt. Dafür kündigte ich noch "Solar Music" von Grobschnitt und - Jazz muss schon sein - das überragende Stück "A song for Cathy" von Lalo Schifrin's Soundtrack "Bullitt" an. Die beiden letztgenannten Stücke waren der Band nicht bekannt. Das mache aber nichts aus, ein kurzes Reinhören in die CD vor Ort reiche vollkommen aus. Na denn...

Nach einem langen, ausführlichen Männergespräch mit meinem pubertären und ratlos wirkenden Neffen im nahen McDonalds (seinem Wunschrestaurant) treffen wir um 19:10 Uhr, satte 20 Minuten vor vereinbarter Uhrzeit, bewaffnet mit Chips, Cola und Sixpack Höpfner Pils (Karlsruher Kult(Ur-)getränk) am Hochbunker in Daxlanden ein. Kurz darauf und überpünktlich - ein Markenzeichen von Trigon, wie mir Rainer stolz erzählt - trudeln die Bandmitglieder ein. Die Pforten des Hochbunkers, welcher unwirklich im Wohngebiet steht, öffnen sich. Es geht einen engen Gang mit weiß gestrichenen Wänden zum Trigon-Übungs- und Jamsessionraum entlang. Ich fühle mich an das Dover Castle, einer interessanten und relativ unbekannten Sehenswürdigkeit Englands, erinnert. Unter diesem Castle nämlich, und somit im "Bauch" der berühmten Kreidefelsen, existiert ein kilometerlanges Gangsystem aus dem II. Weltkrieg, das seit einigen wenigen Jahren zu circa einem Viertel der Öffentlichkeit freigegeben wurde. In diesen schmalen weißen Gängen verstecken sich Lazarette mit OP-Stationen, Schlafräume für eine mittlere Garnison, Funkabteilungen und was man sonst noch so für einen Krieg braucht, sowie eine einst von Winston Churchil während der Landung der Alliierten in der Normandie genutzte Kommandozentrale. Die Engländer mit ihrem ganz speziellen Humor bieten bei Besichtigung der Gänge einige unappetitliche Besonderheiten aus dem II. Weltkrieg: Es riecht penetrant nach Chloroform, man hört Stöhnen von Verletzten und hektisches Stimmengewirr, der Alarm schrillt häufiger an als einem lieb ist, dafür gehen dann die Lampen aus, Brummen von vermutlichen Bombeneinschlägen sind zu vernehmen, und die rotbraun-gefärbten OP-Bestecke oder Leinen geben dem deutschen Besucher den Rest. Ich verkrampfe leicht, da ich in diesem Karlsruher Bunker jeden Augenblick mit einem dieser markerschütternden schrillen Alarme rechne, und außerdem fange ich an mir einzubilden, einen zarten Hauch von Chloroform zu riechen. Nichts dergleichen war natürlich der Fall, aber zum Glück waren wir gleich durch die provisorische Tür zum kleinen Übungsraum, und somit im Trigon-Heiligtum angekommen. Rund 15 qm groß, heja, das würde laut und vor allem warm werden. Rainer erzählt, dass es hier weitere Übungsräume gibt, und der Hochbunker die Heimat vieler Bands ist. Mit viel Eigenarbeit wurde das hier erschaffen. Während die Band mit dem Anschließen der Geräte beschäftigt ist, schauen sich mein Neffe (verblüfft) und ich etwas um. Der ebenfalls in weiß gehaltene Raum mit vereinzelten schwarzen Tüchern als Vorhang erweckt nicht gerade das Vertrauen der Jugend, und ist deshalb "krass". Was tut man nicht alles, um die Jugend vom Techno weg zu bringen. Auf der einen Seite stehen einige Besucherstühle herum, kaum zu glauben, wie hier 20 Besucher reinpassen sollen. Auf der anderen Seite dann die "Bühne" mit den platzfressenden Drums, großen Boxen und dem Verstärker. Nach den Vorbereitungen der Band wird die Bunkerpforte geschlossen, noch ein paar kleine Schluck Höpfner getrunken, und alle mit Gehörschutz ausgestattet. Das ist das Startzeichen.

Die Jamsession beginnt mit einer netten Überraschung. Die ersten Töne von Can's "You doo right", einer meiner Wunschsongs, erklingen. Schön "fräst" sich die Band durch das Thema des Songs, nirgendwo passt diese Beschreibung besser als hier. Nach einigen Wiederholungen des Songthemas, das im Original ja nicht enden will (und der rund 20 Minuten lange Song war ja nur ein Ausschnitt von gar 50 im einen Rutsch durchgespielten und aufgenommenen Minuten), driftet Trigon dann in sein bandtypisches, wohltuend angenehmes Jamming mit eigenen Strukturen und Ideen ab. Treffer! Die Lange-Brüder (neben Rainer spielt sein Bruder Stefan den Bass) und Daniel Beckmann ernten den ersten dicken Beifall. Unglaublich, dass das zum ersten Mal gespielt worden sein soll. Rainer Lange grinst verschmitzt, und gibt zu, diesen Song bei der letzten Probe etwas geübt zu haben. Nun, die Band war auch begeistert, und den Titel gibt's deshalb auch als "You do fräsend" auf CD. Danach folgen Werke von Trigon, leider kann ich mich nicht mehr an alle erinnern. Besonders gut gefallen haben mir die Jamversionen der Rosinen "Heizen" und "Tanzen", aber auch "Peitscht das Kamel" und "Hummelflug" kommen einladend groovig rüber. Wer die entsprechende räumliche Nähe (oder die entsprechende Mobilität) zu Karlsruhe hat, ein Trigon-Konzert oder eine Jamsession zu besuchen, sollte sich das keinesfalls entgehen lassen. Diese Musik, sozusagen live in den heimischen Gefilden von Trigon gespielt, macht die CDs noch transparenter, noch greifender. Zu erwähnen sind natürlich noch die Coverjams von "Solar music" und "A song for Cathy". Es ist jeweils wie im Film: Rainer hört über Kopfhörer ca. eine Minute in den Song rein, gibt zwei, drei Hinweise an Stefan und Daniel, die nicht lange nachfragen, und los geht's. Klappt vielleicht nicht bei jedem Song, und bei einigen Vorschlägen wird sich die Band auch grundsätzlich verweigern, ist aber trotzdem imponierend. Mit "Solar music" sind Trigon dann weniger zufrieden, in meinen Ohren allerdings etwas zu kritisch. Nichts zu machen, von diesem Song wird auf CD bestenfalls nur ein kurzer Ausschnitt zu hören sein. "A song for Cathy" klappt dafür hervorragend. Die Stimmung des Originals dieses wunderschönen (jazzigen) Songs fließt auch bei Trigon ein, das Thema treibt relativ lange dahin, ehe der Jam in einer angepasst dezenten Form einsetzt. Ein Traum, und auch die kritischen Musiker sind nach den letzten Takten gleich begeistert. Zum Glück wurde auch dieser Song gleich live mitgeschnitten, denn es kommt laut Rainer Lange schon mal vor, dass Trigon sich so in einen Rausch jammt, dass es später nicht mehr rekonstruierbar, ja reproduzierbar ist. So wird es dieses Stück auch auf CD, als "A song for C-Stoff - no bullshit", geben.

Nach rund 90 Minuten geht die Session dann zu Ende, und (vor allem) mein Neffe und ich sind um eine Story reicher. Anschließend ging es noch für ein paar Bier in die Trigon-Stammkneipe, wohin auch noch "Vorortmanager" Olaf dazu kam (und der mit seinem Witz besonders den Jüngsten der Runde imponierte). So klang dieser gemütliche und auf seine eigene Art und Weise urige Abend dann ganz schnell aus. Ohne es bisher "einem Trigon" gesagt zu haben, habe ich mir fest vorgenommen, wieder einmal an einer Jamsession teil zu nehmen. Welch liebevolle Einrichtung. Und dann werde ich mir "Interstellar overdrive" wünschen, auch das steht heute schon fest. Eine Woche nach der Jamsession konnte sich Rainer beim Liquid Vision-Auftritt in Aschaffenburg bereits davon überzeugen, welche Live-Aura dieser Song heute noch, selbst als Coverversion, hat.

Interesse an einer Trigon-Jamsession bekommen? Infos dazu, sowie zu den bereits 20(!) veröffentlichten CDs gibt es unter der Trigon-Homepage (siehe "Die Linke Seite" xyz). Natürlich ist es für den Leser schwer, aus dieser Fülle an CDs den richtigen Anfang zu finden. Meine subjektiven Tipps hierzu: Falls euch die beigelegte CD einigermaßen gefällt, fangt mit "Unbeschränkte Haftung" (schönes Cover!) oder mit "Heizen" an. Sind momentan meine liebsten Platten von Trigon.

"... da war ich auf so einem Trashmetal-Festival, und fing an, mein Drum-Soundcheck zu machen. Da kommt doch einer daher und meinte, ich solle nicht so laut machen, weil der am Mischpult einen Herzfehler hat" - Daniel Beckmann, Trigon-Drummer, am 02.11.02 nach der Jamsession.

Christoph Scheuring
März 2003
U M O